Ich habe am Freitag eine Serie angefangen zu schauen und bekam ein schlechtes Gefühl. Ich habe lange gebraucht, um mir einzugestehen, dass in dieser Serie etwas gezeigt wurde, was ich auch gerne gehabt hätte. Es war Neid und eine gewisse Sehnsucht, die mich beschäftigt haben. Ich war überrascht über mich selbst, wie sehr mich das beschäftigt hat. Andererseits war es auch wieder nicht überraschend, ich verdränge das bloß.
Den Satz „Das hätte ich gerne auch“ musste ich mir sehr deutlich vor Augen führen und mir eingestehen.
Ich habe Zweifel, Sehnsüchte und Leidenschaften. Das ist gar nicht ungewöhnlich, aber es passt nirgendwo hin, anders gesagt, muss ich dafür einen Ort finden, eine Sprache, ja sogar eine Figur. Wir erwarten, dass jemand authentisch ist, aber nur, solange es in unser Bild passt. Deshalb denke ich mir Figuren aus, mit deren Stimme ich besser ausdrücken kann, was ich noch sagen will.
Als würde ich mich selbst bei etwas Verbotenem ertappen. Dabei ist Sehnsucht doch nichts Schlimmes. Ich darf doch wollen. Ich darf doch begehren, zweifeln, mich nach Dingen sehnen, die ich nicht habe. Das sind doch völlig normale menschliche Regungen.
Aber wo soll ich damit hin?
Was mache ich mit der Sehnsucht, die nicht charmant ist? Mit dem Neid, der nicht schön aussieht? Mit der Lust, die zu intensiv sein könnte? Mit den Zweifeln, die zu schwer sind für einen Sonntagsbrunch-Talk?
Ich glaube, deshalb schreibe ich. Deshalb erfinde ich mir manchmal Figuren, wenn ich mit Freunden rede – kleine Geschichten, in denen „eine Freundin von mir“ oder „jemand, den ich kenne“ etwas erlebt hat. Dabei bin meistens ich es selbst. Aber durch diese kleine Distanz kann ich sagen, was ich sonst nicht sagen könnte. Ich brauche eine Stimme, die nicht ganz meine ist, um mich selbst auszudrücken.
Das klingt vielleicht unehrlich. Aber vielleicht ist es das Gegenteil. Vielleicht ist es der ehrlichste Weg, den ich habe.
Dieses Gefühl, dass bestimmte Teile von einem keinen Platz haben in der Welt, wie sie gerade ist. Dass man sich erst eine Bühne bauen muss, ein Kostüm anziehen, eine andere Sprache finden – um endlich das sagen zu können, was man schon die ganze Zeit sagen wollte.
Ganz mit einer Figur verwachsen, ganz sie ausfüllen, einem Vorbild nacheifern, einem Bild folgen und diese Rolle erfüllen und ausfüllen, das wird als erwachsen und reif angesehen.
Dann werde ich wohl nie reif.
Ich kann das nicht. Oder ich will es nicht, ich bin mir nicht sicher. Wahrscheinlich beides.
Ich habe es versucht. Ich habe mir angeschaut, wie andere das machen – wie sie sich in ihre Rollen einfügen, wie mühelos das manchmal aussieht. Wie sie morgens aufstehen und genau zu wissen scheinen, wer sie sind und wie sie sich verhalten sollen. Ich bewundere das sogar ein bisschen, diese Klarheit. Diese innere Geschlossenheit.
Aber bei mir ist da nichts geschlossen. Bei mir sind da Türen, die ständig auf und zu gehen. Ich bin an manchen Tagen die Person, die präzise und strukturiert arbeitet und ihre Emails um 7 Uhr morgens beantwortet. An anderen Tagen bin ich der, der drei Stunden durch die Stadt läuft, ohne zu wissen wohin, weil er nicht stillsitzen kann. Manchmal bin ich der Freund, der zuhört und tröstet. Manchmal der, der zu viel redet und zu laut lacht. Manchmal der, der sich zurückzieht und tagelang mit niemandem sprechen will.
Welchen davon soll ich denn jetzt sein? Und vor allem: dauerhaft?
Das Frustrierende ist, dass Widersprüche bei Kindern niedlich sind und bei Erwachsenen unreif. „Du musst dich halt entscheiden, wer du sein willst“, heißt es dann. Als wäre ich ein Buffet und müsste mir endlich einen Teller zusammenstellen, statt ständig hin und her zu laufen.
Aber vielleicht ist das Hin-und-Her-Laufen genau das, was ich bin.
Vielleicht ist Reife nicht, sich festzulegen. Vielleicht ist Reife zu wissen, dass man sich nicht festlegen muss. Dass man mehrere Dinge gleichzeitig sein darf – auch wenn das unbequem ist für andere, die gerne eine klare Schublade hätten, in die sie einen stecken können.
Ich glaube, deshalb bin ich manchmal so angespannt in sozialen Situationen. Weil ich spüre, wie Leute versuchen, mich einzuordnen. Und ich weiß, dass ich nicht in eine Schublade passe. Ich bin zu direkt für die Zurückhaltenden und zu leise für die Lauten. Zu analytisch für die Emotionalen und zu emotional für die Rationalen. Zu vieles gleichzeitig.
Und ja, das ist anstrengend. Für mich, aber vermutlich auch für andere.
Aber weißt du was? Ich glaube trotzdem nicht, dass die Lösung ist, mich zurechtzustutzen. Mich glatt zu schleifen, bis ich in eine Form passe, die andere „reif“ nennen.
Dann bleibe ich halt unreif. Dann bleibe ich halt jemand, der nicht vollständig in einer Figur aufgeht. Der sich Figuren ausdenkt, statt eine zu sein.
Vielleicht ist das meine Art von Ehrlichkeit.
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