Das ist ein schwieriges Thema für mich, weil es um Gefühle und Emotionen geht, mit denen ich nicht gut umgehen kann. Ich habe immer Songs und Musiker gemieden, in denen mir das Thema zu nahe ging, vor allem, wenn auch die Musik ruhig und traurig ist. Es kommt mir dann so vor, als würde ich in den Keller steigen müssen, um etwas aus dem Regal zu holen.
Ich habe mich theoretisch und systematisch dem Thema genähert, aber ich will auch über die Musik ganz persönlich und ehrlich meine Gefühle ansehen. Ich will mir die Texte durchlesen und mich damit auseinandersetzen. Ich will annehmen, was kommt.
Es geht darum, einen Zugang zu finden zu Musik, die ich mir selten angehört habe, weil ich nichts mit dem Thema zu tun haben wollte. Wo fange ich an? Beim Trauma, beim Schmerz, bei dem, was uns zustößt, uns angetan wird, und der Art und Weise, wie man darüber Texte schreibt. Das ist das Thema, das ist hier der Anlass, Texte zu schreiben und Musik zu machen. Das ist, woraus große Musik entstanden ist, die ich mir vielleicht aus genau diesen Gründen nicht angehört habe. Jetzt bin ich älter und habe dafür das Ohr.
Männer schreiben anders als Frauen, Blickwinkel und Problembenennung sind unterschiedlich, manche schreiben eher persönlich, manche eher politisch.
Männer leiden romantisch und neigen zur Selbstzerstörung, Frauen benennen das Problem (Männer). Diese Rollenverteilung ist kulturell verfügbar, was in den 90ern dankbar angenommen wird. Es geht bei beiden um Gewalt, Wut und Schmerz und Strukturen in Gesellschaft und Familie, die das immer wieder hervorbringen, nur aus unterschiedlicher Perspektive.
Die männliche Selbstzerstörung als Performance, das Tier im Manne, der Mann der von seinen Gefühlen übermannt wird und in den Wahnsinn getrieben wird, ist ein typisches Bild des 19. Jahrhunderts. Mit Elvis, Jim Morrison, Ian Curtis und Kurt Cobain wird dieses Bild weitergeführt. Nick Cave inszeniert dieses Bild ganz bewusst, die dunkle Seite des Mannes. Das macht die Gefühle echt, das macht den Mann wahr. Ein Mann, der nicht leidet, hat keine echten Gefühle. Es gibt keinen Ausweg, nur Intensivierung bis zum Ende.
Frauen fokussieren und benennen das Problem, so wie es der Feminismus in verschiedenen Formen und Ausprägungen tat. Da wird nicht die Dunkelheit besungen, sondern Männer und Personen benannt. Sie adressieren die Wut.
Der Mann, auf der Suche nach Liebe, nimmt die Schuld auf sich, bekennt sich, es bleibt ihm nur die Selbstzerstörung.
Das sind kulturelle Klischees und grobe Richtungen, die immer wieder aufgebrochen werden und die Gegenbeispiele machen es interessant.
Was musikalisch auffällig ist, im Gegensatz zu den 60ern bis zu den 90ern, ist eine neue, individuelle Art, Musik zu machen. Joni Mitchell mag als Vorreiterin gelten und Tom Waits als Ausnahme, aber jetzt ist es geradezu üblich, im Alleingang virtuos, intim, privat, persönlich und poetisch zu sein.
Man entdeckt alte, mögliche Vorbilder (Nick Drake, Syd Barrett) und überbrückt die 80er, Johnny Cash spielt im Studio Hurt ein, alt und gebrochen. Die Aufnahme wirkt wie ein Schlusskapitel einer 90er-Indie-Geschichte.
I hurt myself today
To see if I still feel
I focus on my pain
Grunge hat männliche Depression mainstream-fähig gemacht. Feminismus gab Frauen weiterhin ihre politische Sprache. Indie-Labels und College Radio schufen Nischen für beide und MTV Unplugged untermauerte das klischeehafte Schema, das Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit den Mann tief macht, während es bei Frauen als natürlich weiblich gilt.
Aber es gab Brüche, Doppeldeutigkeiten und Ironien, Musikerinnen und Musiker, die sich außerhalb dieser Klischees bewegten und solche Grenzen aufbrachen: PJ Harvey, die sich männlicher Attribute bediente, Mark Eitzel, der sich nicht kleinkriegen ließ, Cat Power, die zusammenbrach und keine Kämpferin war, Conor Oberst, der die Gebrochenheit bloß inszeniert und Fiona Apple, die subversiv und ironisch ist.
Playlist (was ich mir intensiv anhören werde):
- Tori Amos – Me and a Gun (1991)
- PJ Harvey – Rid of Me (1993)
- Liz Phair – Fuck and Run (1993)
- Fiona Apple – Criminal (1996)
- Cat Power – Metal Heart (1998)
- Kristin Hersh – Your Ghost (1994)
- Juliana Hatfield – My Sister (1993)
- Jeff Buckley – Grace (1994)
- Elliott Smith – Between the Bars (1997)
- Vic Chesnutt – Flirted with You All My Life (1996)
- Mark Linkous/Sparklehorse – Someday I Will Treat You Good (1995)
- Red House Painters – Katy Song (1992)
- Jason Molina/Songs: Ohia – Farewell Transmission (2003, technisch 00er, aber passt)
- Bright Eyes – Something Vague (1998)
- American Music Club – Why Won’t You Stay (1991)
Ich werde die Stücke, die Künstlerinnen und Künstler anhören, mich näher mit der Musik und den Texten und den persönlichen Geschichten beschäftigen.
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